Ist Deutschland ein souveräner Staat? Ist das Grundgesetz eine Verfassung? Beide Fragen möchte ich im Folgenden beantworten, denn ich habe zunehmend den Eindruck, dass immer mehr Menschen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Grundgesetzes und der Eigenständigkeit Deutschlands haben.
Zur Souveränität Deutschlands:
Zweifler an der Souveränität Deutschlands behaupten gerne, dass unser Land immer noch unter der Herrschaft der Alliierten des zweiten Weltkrieges stehen würde, was man schon daran ableiten könne, dass es keinen Friedensvertrag gibt. Aber: Spätestens seit dem Abschluss der Zwei-plus-Vier-Verträge genießt Deutschland die volle Souveränität. Die Zwei (Bundesrepublik Deutschland, Deutsche Demokratische Republik) plus Vier (USA, Großbritannien, Sowjetunion, Frankreich) – Verträge wurden 1990 im Rahmen der deutsch-deutschen Wiedervereinigung abgeschlossen und traten 1991 in Kraft. Hier wird u. a. die volle Souveränität Deutschlands festgehalten. (Art 7 (2) „Das vereinte Deutschland hat demgemäß volle Souveränität über seine inneren und äußeren Angelegenheiten.“)
Wenn man einmal gedanklich durchspielt, was wäre, wenn Deutschland wirklich nicht souverän wäre, dann müssten alle Verträge, ob international oder bilateral, rechtlich hinfällig sein, denn ein nicht-souveräner Staat kann keine rechtlich verbindlichen Verträge abschließen. Das würde z. B. auch bedeuten, dass Abgeordnete für diverse Parlamente (Europaparlament, Bundestag, etc. ) nicht rechtmäßig gewählt worden wären, denn ein nicht-souveräner Staat kann weder rechtmäßige Wahlen abhalten noch haben Parlamente Befugnisse. Wenn wir noch weiter denken, hieße das, dass unsere Rechtsstaatlichkeit nicht gewährleistet wäre, weil es keinen souveränen Staat gäbe.
Zum Grundgesetz:
Das Grundgesetz heißt in Deutschland nicht – wie in anderen Staaten üblich – Verfassung. Es hat aber dieselbe Funktion wie eine Verfassung, der Name ist nicht entscheidend. Kritiker werfen ein, dass dieses Grundgesetz nicht – wie es in Art 146 steht – vom deutschen Volk abgestimmt wurde. Das Grundgesetz wurde historisch allerdings vom parlamentarischen Rat (Ministerpräsidenten der Länder) und von den westdeutschen Landtagen (außer Bayern) 1949 abgestimmt. Die Abgeordneten der Landtage waren demokratisch gewählt. In einer parlamentarischen Demokratie ist es üblich, dass die Abgeordneten über wichtige Sachverhalte abstimmen und nicht das gesamte Volk. Zudem gibt es auf Bundesebene bislang nicht das Instrument der Volksabstimmungen.
Es ist richtig, dass das Grundgesetz bei seiner Einführung einen „Vorläufigkeitscharakter“ hatte. Aufgrund der deutsch-deutschen Teilung sollte der Eindruck vermieden werden, man würde sich nun mit den Verhältnissen in Westdeutschland arrangieren und kein Interesse mehr an einer Wiedervereinigung haben. Das Grundgesetz gilt als Verfassung, schon alleine deshalb, weil es das widerspiegelt, was in der Rechtskunde mit dem Begriff der „normativen Kraft des Faktischen“ bezeichnet wird. Das bedeutet: Durch eine tatsächliche Entwicklung wird ein Zustand geschaffen, den die Rechtsordnung anerkennt. Ein klassisches Beispiel hierfür ist ein Grundstücksbesitzer, der jahrelang nichts dagegen hat, wenn Leute über sein Grundstück laufen, weil der Weg z. B. eine Abkürzung darstellt. Wenn dieser Besitzer dann irgendwann sagt, dass er das nicht mehr möchte, wird es schwierig, sein Recht durchzusetzen – weil die „normative Kraft des Faktischen“ schon lange quasi Fakten geschaffen hat, die jetzt einfach nicht mehr zu ändern sind. Auf das Grundgesetz gemünzt heißt das: Wenn eine Regelung in der Praxis von den Bürgerinnen und Bürgern und allen staatlichen Institutionen angenommen wird – und das über mehr als 65 Jahre hinweg – kann man von der Rechtmäßigkeit ausgehen. Da braucht man nicht noch extra eine Volksabstimmung, damit das Grundgesetz „in Kraft tritt“.