Die Bürgerversicherung – was steckt dahinter?

Wenn der Beamtenbund, der Ärztebund und die Privaten Krankenversicherer sich einig sind, dass die Idee der SPD, eine Bürgerversicherung zu etablieren, quasi der Untergang des Abendlandes sind, dann lohnt es sich, genauer hinzusehen.

Im Jahr 2017 sind in Deutschland 7,8 Millionen Menschen in einer privaten Krankenkasse versichert und rund 62,6 Millionen gesetzlich versichert. In einer privaten Krankenkasse sind insbesondere Selbständige, Beamtinnen und Beamte und Angestellte, die sehr gut verdienen. Privat versicherte Personen profitieren z. B. von schnelleren Arztterminen oder niedrigeren Zuzahlungen für medizinische Hilfsmittel. Auch im Falle eines Krankenhausaufenthaltes genießen sie mehr Komfort und erhalten z. B. Chefarztbehandlungen. Gesetzlich Versicherte haben die eben aufgezählten Privilegien nicht. Im Gesundheitssektor herrscht also eine Zwei-Klassen-Medizin, die es in einer solidarischen Gesellschaft eigentlich nicht geben dürfte. Die von den Sozialdemokraten vorgeschlagene Bürgerversicherung steht so oder so ähnlich auch in anderen Parteiprogrammen, z. B. bei der ÖDP, dort aber nicht unter dieser Begrifflichkeit.
Um was geht es bei der Bürgerversicherung? Ziel ist es letztlich, die Private Krankenversicherung abzuschaffen und dafür zu sorgen, dass alle in einen Topf bei der gesetzlichen Krankenversicherung einbezahlen. Alle heißt also auch Selbständige, Beamte und Gutverdiener. Außerdem sollten alle Einkommensarten zur Berechnung des Versicherungssatzes herangezogen werden: Mieten, Kapitaleinkünfte oder Sonstiges.
Eine Bürgerversicherung, die sich an oben genannten Eckpunkten orientiert, würde unsere Gesellschaft solidarischer machen. Niemand könnte sich aus der Verantwortung für die Gemeinschaft verabschieden und jeder würde gemäß seinem finanziellen Rahmen an den Kosten beteiligt. In der Diskussion wird immer wieder behauptet, dass ohne die privaten Versicherungen das gesamte Gesundheitssystem nicht finanziert werden könnte. Zudem würden Ärzte und Ärztinnen mit eigener Praxis auf privat Versicherte angewiesen sein, weil gesetzlich Versicherte nicht kostendeckend behandelt werden können. Diese Argumente beweisen meiner Meinung nach nur eines: Es läuft etwas gewaltig schief im Gesundheitswesen. Und wer nicht will, dass die Schere zwischen arm und reich weiter auseinandergeht, der muss jetzt handeln. Ob sofort mit dem großen Wurf einer Bürgerversicherung oder in kleinen Schritten hin zum richtigen Ziel. Es muss was passieren!

 

Hartz IV und Kindergeld – wie soziale Ungleichheiten verstärkt werden

Den aktuellen Daten der Bundesagentur für Arbeit ist zu entnehmen, dass gegenwärtig zwei Millionen Kinder und Jugendliche in Familien leben, die Hartz IV erhalten. Hartz IV heißt: Erwachsene bekommen monatlich 409 Euro für den Lebensunterhalt, Kinder bis 5 Jahre 239 Euro, Kinder von 6 bis 13 Jahren 291 Euro und Jugendliche von 14 bis 17 Jahren 311 Euro.
Damit leben in einem Land, in dem im Übrigen auch knapp 1,2 Millionen Millionäre zuhause sind, also zwei Millionen Kinder und Jugendliche in prekären Verhältnissen und werden in ihren Entwicklungs- und Bildungschancen stark behindert.
Wer in jungen Jahren arm ist, wird es später mit einer geringeren Wahrscheinlichkeit in gut bezahlte Jobs schaffen. Wer in jungen Jahren arm ist, wird wahrscheinlich auch vorzeitiger sterben als der Durchschnitt. Schlechte Ernährung, wenig Bewegung, Stigmatisierung und Sorgen um die Existenz belasten viele Kinder und Jugendliche aus Hartz-IV-Familien und verbauen ihnen so oftmals den Weg in eine erfolgreiche Zukunft.
Geradezu skandalös ist es aus meiner Sicht, dass das Kindergeld (zur Zeit 194 Euro) auf Hartz IV angerechnet wird. D. h. Geld, welches für Kinder gedacht ist, landet nicht bei diesen. Während von einer Kindergelderhöhung auch diejenigen profitieren, die sehr vermögend sind, kommt nichts bei den Familien an, die es am dringendsten bräuchten. Daraus resultiert meine politische Forderung nach einer finanziellen Förderung aller Kinder, unabhängig von der finanziellen Situation innerhalb der Familie.
Ebenso muss die jährliche Freigrenze für Geldgeschenke in Hartz-IV-Familien stark nach oben gesetzt werden. Gegenwärtig ist es so, dass Geldgeschenke ab 50 Euro bereits auf die staatlichen Leistungen angerechnet werden. Das bedeutet z. B., dass die finanziellen Zuwendungen, die ein Kind zum Geburtstag, zur Kommunion oder Konfirmation erhalten hat und die größer als 50 Euro sind, in voller Höhe auf Hartz IV angerechnet werden. Das ist in höchstem Maße unfair den Kindern und Jugendlichen gegenüber und verstärkt in dramatischer Art und Weise die soziale Ungleichheit in Deutschland.
Solange es in einem reichen Staat wie Deutschland fast 2 Millionen Kinder gibt, die in Armut aufwachsen, kann kein Politiker und keine Politikerin mit der eigenen Performance zufrieden sein. Dafür gibt es noch viel zu viel zu tun.

Ein Bargeldverbot und die Konsequenzen

Vor knapp zwei Jahren forderte der Wirtschaftswissenschaftler Peter Bofinger die Abschaffung des Bargeldes in Deutschland. Immer öfter wird dieser Vorschlag diskutiert und ich frage mich, was hinter dieser Idee steckt und was ein Bargeldverbot für Konsequenzen hätte.

Zunächst einmal die offiziellen Gründe, die für ein Bargeldverbot ins Feld geführt werden: Wenn es kein Bargeld mehr gibt, könne man der Korruption, dem Drogenhandel und dem Terrorismus den Boden entziehen, da viele dieser Geschäfte bar abgewickelt werden. Zudem würde Schwarzarbeit erschwert und Banküberfälle überflüssig.
Ich aber denke, dass Bargeld als Schmiermittel in Politik und Wirtschaft wahrscheinlich eine geringe Rolle spielt und Korruption als Möglichkeit, um Einfluss zu nehmen, auch ganz andere Wege gehen kann: Pöstchengeschacher, Aufnahme in einflussreiche Netzwerke, Eintrittskarten zu exklusiven Veranstaltungen, teure Uhren als Geschenk, etc.. Ob Drogenhandel und Terrorismus wirklich so sehr auf Scheine angewiesen sind, vermag ich nicht zu beurteilen. Dass die Anzahl der Banküberfälle in den letzten Jahren zurückgegangen ist, ist indes eine Tatsache, denn durch Zeitschlösser und ähnliches wird es immer komplizierter, eine Bank auszurauben. Schwarzarbeit gibt es sicherlich auch ohne Bargeld, irgendwie können sich Arbeitgeber auf irgendeine Art sicherlich am Fiskus vorbeischmuggeln. Am Beispiel Schweden, in dem kaum noch mit Bargeld bezahlt wird, weil viele Geschäfte und Restaurants auf EC- oder Kreditkarte umgestellt haben, kann man dies beobachten. Im Jahr 2012 wurden dort durch Schwarzarbeit rund 50 Milliarden Euro an der Steuer vorbeigeschleust.

Was sind die Konsequenzen eines Bargeldverbotes?
Fangen wir mit vermeintlichen „Kleinigkeiten“ an: Wie wird es der Straßenmusikerin oder dem Verkäufer der Obdachlosenzeitung gehen, wenn diese keine Münzen mehr annehmen können, weil sie aus dem Verkehr gezogen sind? Wird man für jede kleine Spende seine EC-Karte in ein Lesegerät stecken, mit dem auch Straßenmusiker und Obdachlose ausgerüstet sein werden?
Was ist mit Menschen, die kein Girokonto besitzen? Zwar gibt es seit einigen Jahren eine freiwillige Selbstverpflichtung der Banken, jedem Bürger/jeder Bürgerin ein Girokonto zu gewähren, aber dennoch hatten im Jahr 2013 rund 670.000 Menschen in Deutschland kein Girokonto. Wie sollen diese Menschen ihre Geschäfte abwickeln oder ihre Einkäufe erledigen?
Auch würde ein Bargeldverbot Menschen treffen, die nicht oder nur kaum lesen oder schreiben können. Ihnen fällt es dann sehr schwer, eine Überweisung auszufüllen oder Online-Banking zu machen. Rund 2,5 Millionen Menschen in Deutschland können nur einzelne Worte schreiben, aber ganze Sätze weder schreiben noch lesen.
Was passiert, wenn es – bedingt durch Terroranschläge oder Naturkatastrophen – Probleme mit der Stromversorgung gibt? Dann funktionieren Karten-Lesegeräte nicht mehr und die Bürger können sich im Supermarkt nicht mehr mit den nötigsten Gütern eindecken.
Und wie können sich Bürger schützen, wenn z. B. eine Finanzkrise kommt und eine Pleite der eigenen Bank droht? In Griechenland sind finanzielle Transaktionen stark eingeschränkt, weil man Angst hat, dass die Bürger ihr Geld von den Finanzinstituten abziehen, indem sie es woanders hin überweisen oder bar abheben und unter das Kopfkissen stecken. Ein Bargeldverbot bedeutet auch, dass sich Finanzkrisen noch schneller ausbreiten können, weil Geld ohne Gegenwert noch abstrakter wird und die Geldschöpfung noch unkontrollierter geschehen kann.
Aus meiner Sicht ebenfalls wichtig ist der Gedanke, dass man Barausgaben besser unter Kontrolle hat als bargeldlose Ausgaben. Wer schon kleine Beträge mit Karte bezahlt, wird am Ende des Tages oder der Woche weniger gut wissen, wie viel er für welche Güter ausgegeben hat, als jemand, der alles oder den Großteil in Münzen oder Scheinen bezahlt hat. Über zwei Millionen deutsche Privathaushalte waren im Jahr 2015 überschuldet und konnten ihre Verpflichtungen gegenüber Gläubigern nicht erfüllen. Diese Privatverschuldung wird sicherlich weiter steigen, wenn selbst Kleinstbeträge mit Karte bezahlt werden müssen, weil Bargeld nicht mehr verfügbar ist. Möglicherweise ist es ein Ziel der Befürworter der Bargeldabschaffung, dass so der Konsum weiter angekurbelt wird und somit das Wirtschaftswachstum steigt.
Zu guter Letzt führt ein Bargeldverbot auch dazu, dass der private Konsum kontrolliert werden kann. Wenn man also Alkohol, Tabak oder Medikamente kauft, kann das alles dem Käufer per EC- oder Kreditkarte zugeordnet werden. Der Gedanke, dass diese Einkäufe dann an die Krankenkasse oder den Arbeitgeber gemeldet werden, liegt nahe. Wer kann garantieren, dass diese Daten nicht eines Tages geleakt und verbreitet werden? Und gibt es nicht schon jetzt Modelle bestimmter Krankenkassen, dass sich „Wohlverhalten“ und Transparenz des Versicherten finanziell auszahlen? Schöne, neue Welt. Da möchte ich lieber weiterhin meinen Rotwein und meine Schokolade bar bezahlen können, ohne Angst vor dem Anruf meiner Krankenkasse.

Sollte es wirklich auf ein Bargeldverbot hinauslaufen, dann hoffe ich sehr auf einen öffentlichen Aufschrei in der Bevölkerung und eine starke Bewegung von Bürgern und Bürgerinnen, die sich diesem Vorhaben entgegenstellen.

In eigener Sache: Gibt es Auswege aus der Informationskrise?

Wer mehr über ein bestimmtes Thema wissen will, braucht Zeit und Geduld. Denn man muss Bücher wälzen, Wikipedia-Artikel lesen und Experten befragen. Wäre es aber nicht toll, wenn diese Arbeit jemand anderes übernehmen würde? Leute mit journalistischer Erfahrung, die Euch neutral, unabhängig und kompakt Informationen zur Verfügung stellen?

Zwei Kollegen – der eine mit Erfahrung im Journalismus, der andere mit Erfahrung im Verlagswesen, und ich möchten eine Zeitschrift mit dem Namen „Gute Argumente“ gründen. Wir wollen einmal im Vierteljahr ein bestimmtes Thema umfassend beleuchten: unter politischen, historischen und ethischen Gesichtspunkten. Ziel ist es, dass sich die Leserinnen und Leser eine eigene Meinung bilden können und sich umfassend über das Thema informiert fühlen. Zielgruppen sind Menschen, die sich z. B. beruflich auf ein bestimmtes Thema vorbereiten müssen, sei es als Referent, Lehrerin oder Student – oder einfach Leute, die sich gerne zielgerichtet informieren, aber nicht allzu viel Zeit haben. Das erste Thema steht schon fest: Wir recherchieren, ob Tierversuche wirklich sein müssen oder nicht.
Um die Zeitschrift „Gute Argumente“ auf den Markt zu bringen, brauchen wir zunächst eine Anschubfinanzierung. In einem Crowdfunding-Projekt sammeln wir gerade die finanziellen Mittel ein und hoffen auf Unterstützung. Schau einfach mal rein und überlege, ob wir auch Deine Hilfe bekommen. Danke dafür!
https://www.startnext.com/argumente-zeitschrift/

 

 

Mit Steuern steuern

Als vor Kurzem das Umweltbundesamt (UBA) in einer Broschüre gefordert hatte, die Mehrwertsteuer auf Milch- und Fleischprodukte zu erhöhen, war die öffentliche Aufregung groß. „Fleischverbot, Bestrafung von ärmeren Menschen, weltfremd, etc.“ Vieles wurde den Verfassern der Broschüre von Medien, Politik und Verbänden entgegengeschleudert.

Ich bin dem Ganzen mal nachgegangen und mir sind dabei zunächst zwei Dinge aufgefallen. Erstens ist die Begründung des UBA für die Forderung nach höheren Steuern in den meisten Berichten rund ums Thema komplett unter den Tisch gefallen: In Deutschland ist die Landwirtschaft Hauptverursacher der klimaschädlichen Gase Lachgas und Methan, wobei ein Großteil bei der Tierhaltung anfällt. Zweitens ist die Gegenforderung des UBA auch meist verschwiegen worden: Nämlich die Steuern auf Obst und Gemüse sollten reduziert werden. Bislang liegt der Steuersatz auf Fleisch- und Milchprodukte sowie Obst und Gemüse bei 7 Prozent und ist damit ermäßigt. Das UBA schlägt vor, Fleisch- und Milchprodukte mit 19 Prozent zu besteuern und Obst und Gemüse mit weniger als 7 Prozent, hierzu gibt es keine konkrete Angabe.

Mit dieser Idee soll umweltfreundliches Verhalten gesteuert werden, das ist völlig klar. Klar ist aber auch, dass in der Politik öfter mal sog. Lenkungssteuern eingesetzt werden, die sinnvolles Verhalten der Bürgerinnen und Bürger unterstützen sollen. Zwei Beispiele: Um den Verkauf von sog. Alkopops an Jugendliche zu reduzieren, wurde 2004 eine Sondersteuer eingeführt, die viermal so hoch war wie die ansonsten übliche Branntweinsteuer. Daraufhin ging der Absatz von Alkopops um bis zu 80 Prozent zurück. In den letzten Jahren wurden zudem die Steuern auf Tabak stetig erhöht, um die Verbraucher zum Nichtrauchen zu bewegen. Mittlerweile zahlt man auf eine Packung Zigaretten 75 Prozent Steuern. Ob der Zigarettenkonsum wirklich zurückgegangen ist, darüber gibt es keine Klarheit, weil sehr viel unkontrollierte Schmuggelware auf dem Markt ist. Allerdings ist die Zahl der Rauchenden zwischen 18 und 25 Jahren stark rückläufig.

Steuern bzw. Steuersätze sind also nicht in Stein gemeißelt, sondern können vom Gesetzgeber variabel geändert werden, wenn z. B. eine Lenkungswirkung erzielt werden soll. Man kann aus meiner Sicht über jeden politischen Vorschlag diskutieren, wenn man sich die Zeit nimmt, die Hintergründe und Konsequenzen dieses Vorschlags zu verstehen. Im Falle des UBA ist das in unserer schnellen Mediengesellschaft leider nicht passiert. Stattdessen hat bei vielen Kritikern reflexartiges und skandalisierendes Nein-Sagen eine sachliche und ausführliche Auseinandersetzung mit der Idee der erhöhten Milch- und Fleischsteuer leider verhindert. Ich persönlich wünsche mir eine Politik, in der Vorschläge erst mal komplett angehört und dann kritisch-konstruktiv begleitet werden.

 

Die Gemeinwohlökonomie – eine gute Alternative zum Kapitalismus?

Laut einer Umfrage der Bertelsmann-Stiftung im Jahr 2010 wünschen sich fast 90 Prozent der Befragten in Deutschland eine alternative Wirtschaftsordnung. [1] Der entfesselte Kapitalismus, der weder vor sozialen noch ökologischen Fragen Halt macht, verunsichert die Menschen. Vielen ist zudem mittlerweile klar, dass das exponentielle Wirtschaftswachstum nicht unendlich weitergehen kann. Exponentielles Wachstum wird u. a. dadurch definiert, dass in immer kürzeren Zeitspannen immer mehr und immer schneller produziert werden muss, um das Niveau zu halten.

Die Suche nach einer alternativen Wirtschaftsordnung wird daher immer drängender. Kann die Gemeinwohlökonomie diese Lücke füllen?
Die Gemeinwohlökonomie (GWÖ) wurde vom Österreicher Christian Felber entwickelt, wenngleich der Begriff des „Gemeinwohls“ viel älter ist und sich unter anderem in der bayerischen Verfassung wiederfindet. Als eine Bewegung von unten nach oben, so begreift sich die GWÖ. Nicht als kompletter Umsturz des Wirtschaftssystems, sondern quasi als Stein, der ins Wasser geworfen wird und dort seine Kreise zieht. Zentral für die GWÖ ist der Gedanke, dass nicht mehr Konkurrenz, Verdrängung und Gewinnstreben das wirtschaftliche Handeln der Unternehmen dominieren, sondern Kooperation und Gemeinwohlstreben. [2] So sollen die Grundwerte gelten, die auch private Beziehungen gelingen lassen: Wertschätzung, Vertrauensbildung und Solidarität. Der Staat soll die Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass Unternehmen, die ihre Ziele in die eben genannte Richtung verschieben, belohnt werden. Die Belohnung kann z. B. niedrigere Steuern, günstigere Kredite oder Vorzüge bei der Vergabe öffentlicher Aufträge bedeuten.
Wirtschaftlicher Erfolg wird anders als heute üblich definiert, nämlich dahingehend, was für das Gemeinwohl, die Lebensqualität und die Bedürfnisbefriedigung der Bürgerinnen und Bürger erreicht wird. Jedes Unternehmen erstellt am Ende des Jahres eine Gemeinwohl-Bilanz, die sich an der Gemeinwohl-Matrix orientiert. [3] Hier werden Werte wie Menschenwürde, Solidarität, ökologische Nachhaltigkeit, soziale Gerechtigkeit und demokratische Mitbestimmung bilanziert. Als „win-win-Situation“ beschreibt GWÖ-Ideengeber Christian Felber, dass durch die Abkehr vom Wachstumsfetisch viele kleinere Unternehmen in allen Branchen einander solidarisch helfen können und dafür noch belohnt werden.
Inhalt der GWÖ sind noch viele weitere Unter-Ziele, wie z. B. die Begrenzung der Einkommen und Erbschaften und die Forderung, dass Natur kein Privatbesitz sein darf. Zudem wird auf die Verringerung der Umweltzerstörung hingearbeitet. Auch die Erwerbsarbeit soll mittelfristig auf 20-30 Stunden reduziert werden, damit genug Zeit für Pflegearbeit, Freiwilligendienste und die Persönlichkeitsentwicklung bleibt. Weiterhin soll die repräsentative Demokratie durch direktdemokratische Elemente ergänzt werden und die Güter der öffentlichen Daseinsvorsorge (z. B. Wasser) dürfen nicht privatisiert werden.
Alles in allem soll die Gemeinwohlökonomie ein laufender, nie abgeschlossener Prozess sein, in den sich Menschen stets mit ihren Ideen einbringen können.
Eine gute Alternative zum herrschenden Kapitalismus? Was meinst Du?

[1] http://www.bertelsmann-stiftung.de/de/presse/pressemitteilungen/pressemitteilung/pid/umfrage-buerger-wollen-kein-wachstum-um-jeden-preis/
[2] http://www.christian-felber.at/schaetze/gemeinwohl.pdf
[3] https://ecogood.org/de/gemeinwohl-bilanz/gemeinwohl-matrix/

 

Auf den Wähler zugehen – aber wie?

In Zeiten des Brexit und des Erfolges eines Donald Trump hört man überall die Forderung, die Parteien müssten wieder mehr auf die Bürgerinnen und Bürger zugehen. Die Sorgen und Nöte des einfachen Mannes, der einfachen Frau brauchen einen Adressaten. Aber wie schafft man sinnvolle Begegnungen von Parteienpolitikern und Wahlvolk?

Eine Idee ist der Tür-zu-Tür-Wahlkampf. Vor einigen Jahren hatte diese Idee die SPD und ließ die Spitzenkandidaten an die Türen der Wähler klopfen, um diesen Infomaterial in die Hände zu geben, sich kurz vorzustellen oder ggf. auf eine Tasse Kaffee einzukehren. Grundsätzlich stellt sich die Frage, wann hierzu die beste Zeit ist, denn die meisten Leute arbeiten tagsüber. Ob sie dann am Abend noch Lust haben, wenn Fremde an der Tür klopfen, über Politik zu reden? Ich zweifle daran. Vom Ergebnis dieser Idee hat man danach nie wieder was gehört. Ein Wahlkampfstratege des Willy-Brandt-Hauses gab dann bei einer Veranstaltung etwas kleinlaut zu, dass dieser Tür-zu-Tür-Wahlkampf nicht besonders erfolgreich war und wohl nicht wiederholt wird. Vielleicht eignet sich diese Idee aber auch nur bei Kommunalwahlkämpfen, weil sowohl Themen als auch die Anzahl der Bürgerinnen und Bürger überschaubar sind.

Nächste Idee: Der klassische Infostand am Samstag nachmittag in der Innenstadt. Die Erfahrung zeigt, dass neben Parteien auch NGOs, Mobilfunkfirmen und Stromanbieter um die Gunst der Menschen kämpfen. Von rechts, von links, von vorne – ein Infoblatt und ein Gesprächsangebot. Viele Flyer landen dann um die nächste Ecke im Papierkorb. Wenn Gespräche mit den anwesenden Parteimitgliedern geführt werden, laufen diese gerne irgendwann in die Sinnlosigkeit. Denn wer Zeit hat, hat oft auch ein Problem. Z. B. mit den Bilderbergern, den Amerikanern, der Lobby oder mit Windrädern. Auch hier bezweifle ich den Erfolg der Idee.

Vielleicht Bürgersprechstunden? Wenn diese von einem Politiker angeboten werden, der nicht allzu bekannt ist, dann besteht die Gefahr, dass nur gute Bekannte oder Parteifreunde zur Sprechstunde kommen. Vielleicht bringen die noch ein paar Freunde mit. Die freuen sich zwar dann, wenn sie mal einem Politiker die Hand schütteln können, aber da diese Menschen schon vorher wahrscheinlich dem Politiker und seiner Partei wohlgesonnen sind, gewinnt man keine Zweifler und keine neuen Anhänger dazu.

Town-hall-Meetings? Wie der Name schon sagt, ein Konstrukt, das von den Amerikanern abgeschaut ist und hierzulande irgendwie keiner versteht. Zu diesen Dings-Meetings kommen gerne berühmte Politiker wie die Kanzlerin. Da ist dann ein Moderator, der der Kanzlerin Fragen stellt und dann dürfen noch diverse Bürgerinnen und Bürger ihre Anliegen vortragen. Ein geeigneter Weg zu mehr Bürgernähe? Nun, richtig nahe kommt man der Kanzlerin da nicht, die Fragen und vermutlich auch die Bürger werden vorher ausgesucht und es weht kein Lüftchen „Authentizität“ umher, denn das könnte den Nimbus des auf-alle-Fragen-eine-Antwort-findenden-Politikers ja untergraben. Ein bekanntes Beispiel ist die Begegnung der Kanzlerin im vergangenen Jahr mit der Schülerin aus Palästina. Da ihr die Kanzlerin keinen Daueraufenthalt versprechen konnte, wurde der Regierungschefin danach mangelnde Herzenswärme vorgeworfen. Ein PR-Gau!

Auch wenn vielleicht noch viel Spielraum in der Begegnung von Politikerinnen und Politikern mit Bürgerinnen und Bügern ist, folgende Vorschläge wären mal ein Anfang: Wahlprogramme sollten verständlicher geschrieben sein und das Thema soziale Gerechtigkeit muss ganz oben auf die politische Tagesordnung. Und auch Politiker sollten zugeben, dass sie nicht auf alles eine Antwort wissen. Denn die Welt ist komplexer geworden und nur Populisten wissen einfache Antworten auf komplexe Fragen.

Die Finanztransaktionssteuer – eine gute Idee

Mitte Oktober 2016 haben sich die Finanzminister von zehn europäischen Ländern darauf geeinigt, dass sie bis Ende Dezember darüber entscheiden wollen, wie eine Finanztransaktionssteuer ausgestaltet werden soll. Man kann also hoffen, dass eine solche Steuer bald auf den Weg gebracht wird. Aber was ist eigentlich der Sinn einer solchen Steuer auf Finanzprodukte und was kann man mit dem eingenommenen Geld machen?

Was ist die Finanztransaktionssteuer?
Zunächst möchte ich die Frage klären, was die sog. Finanztransaktionssteuer eigentlich ist: Sie ist eine Art Mehrwertsteuer auf den Handel mit sämtlichen Finanzprodukten. Hierzu gehören Aktien, Währungen, Rohstoffe, Nahrungsmittel, Immobilientitel und Derivate. Derivate sind Finanzprodukte, mit denen man darauf spekulieren kann, ob der Preis eines anderen (Finanz) -produkts fällt oder steigt. Damit funktioniert ein Derivat als eine Art „Wettschein“ im Börsenbereich und macht unzählige Finanzspekulationen möglich. Klassischerweise werden solche Derivate von sog. Hedgefonds verwaltet. Befürworter der Finanztransaktionssteuer veranschlagen einen Steuersatz von 0,01 Prozent bis 0,5 Prozent pro Finanzprodukt. Aktuell im Gespräch ist ein Steuersatz von 0,1 Prozent auf Aktien und 0,01 Prozent auf Derivate. Schon dieser eher geringe Steuersatz würde alleine in Deutschland Steuer-Mehreinnahmen zwischen 18 und 44 Milliarden Euro im Jahr generieren.

Was ist der Sinn einer solchen Steuer?
Das hauptsächliche Ziel einer Finanztransaktionssteuer ist die Stabilisierung der Finanzmärkte sowie eine Marktregulierung. Somit würde der technische und spekulative Handel eingedämmt, denn ein Händler würde sich bei seinen Transaktionen wohl genauer überlegen, ob er diese tätigt oder nicht. Heutzutage ist es sehr leicht möglich, mit einem Computer-Tastendruck Milliarden um den Erdball zu jagen. Die Transaktionssteuer würde unmittelbar und umfassend wirken, weil jede Transaktion davon betroffen sein würde. Die Finanztransaktionssteuer wäre auch ein Umverteilungsinstrument, weil ihr Ertrag in soziale oder ökologische Projekte gesteckt werden könnte. In Großbritannien existiert bereits eine eingeschränkte Finanztransaktionssteuer von 0,5 Prozent (Stamp Duty). Diese Abgabe spült jährlich bis zu 5 Milliarden Euro in die britische Staatskasse.

Wohin mit den Einnahmen aus der Finanztransaktionssteuer?
Wie oben schon kurz erwähnt könnten die Einnahmen aus der Steuer in den jeweiligen Staatshaushalt fließen und von dort insbesondere in soziale und ökologische Projekte. Eine andere Idee ist es, ein Drittel der Einnahmen Entwicklungsländern zugute kommen zu lassen, die dann das Geld in Projekte zur Klimagerechtigkeit und zur Armutsbekämpfung investieren. Ausführliche Informationen hier.

Geschichte
Abschließend noch ein paar Gedanken zur Geschichte der Finanztransaktionssteuer. Bereits im Jahr 1936, also während der Weltwirtschaftskrise, hat sich der bekannte amerikanische Ökonom John Meynard Keynes für die Einführung einer Steuer auf kurzfristige Spekulationen ausgesprochen. Ihm ging es in erster Linie darum, dass Unternehmen durch langfristiges Denken ihre Gewinne maximieren. 1972 hat dann der Ökonom John Tobin die sog. Tobin-Steuer ins Gespräch gebracht. Diese Steuer sollte nur auf Devisengeschäfte, also den Handel mit Währungen, erhoben werden. Tobin sah hier den Vorteil, die Kosten einzudämmen, die durch die ungehemmte Verschiebung des Finanzkapitals auf die Volkswirtschaften entstehen.

Es bleibt festzuhalten, dass es schon seit vielen Jahrzehnten Bedarf für eine Finanztransaktionssteuer gibt, wie auch immer sie ausgestaltet sein mag. Ich hoffe sehr, dass die europäischen Finanzminister den Mut aufbringen, gemeinsam gegen Steuerspekulationen zu kämpfen. Die Finanztransaktionssteuer ist ein wirksames Instrument dafür.

 

Warum die AfD keine Partei ist wie jede andere

Bei der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus im September bekam die AfD (Alternative für Deutschland) rund 14 Prozent der Stimmen. Viele Beobachter sagen, der Erfolg der AfD sei nur eine Frage der Zeit gewesen, denn in diversen anderen europäischen Staaten sind rechtspopulistische Parteien bereits schon seit Jahren fest etabliert (Front National in Frankreich, FPÖ in Österreich, etc.). Anhand einiger Beispiele möchte ich nun aufzeigen, welche Strategie die AfD meiner Meinung nach verfolgt.

Eine Bemerkung vorweg: Aus politikwissenschaftlicher Sicht bin ich der Ansicht, die AfD genauso zu behandeln wie andere Parteien auch – ohne das Schüren von Panik. Man sollte sie nur an ihrem Verhalten in den Parlamenten messen. Allerdings fände ich es enorm wichtig, die AfD genau zu beobachten, bewegt sie sich doch meines Erachtens zum Teil sehr von der freiheitlich-demokratischen Grundordnung, wie sie in unserem Grundgesetz steht, weg.

Beispiel Politik(er)-Verachtung:
Die AfD schadet der Demokratie, dem Gemeinwohl und allen, die sich politisch engagieren, in dem sie Verachtung der politischen Strukturen und der Politiker/innen nach außen trägt. In einem offiziellen Facebook-Posting der Partei ist z. B. zu lesen: „die Betrüger da oben…“. Immer wieder wird auf Veranstaltungen skandiert „Merkel muss weg“, den Ausspruch „Maßnahmenkatalog gegen Merkel“ habe ich der Website der AfD entnommen. Der AfD fehlt es an Respekt – den Politiker/innen und auch deren Wähler/innen gegenüber. Mit ihrer Hetze gegen Kanzlerin Merkel, Justizminister Maas und viele andere Minister und Abgeordnete zeichnet die AfD das Bild einer korrupten Politikelite. Wenn die AfD-Anhänger diesen Zuordnungen Glauben schenken, wird sich kaum noch jemand dafür hergeben, in die Politik einzusteigen – egal, auf welcher Ebene. So kann eine repräsentative Demokratie dann nicht mehr funktionieren, auch weil sie kein Vertrauen mehr genießt.

Beispiel Wortwahl:
Wohl nicht zufällig wählen AfD-Politiker/innen in ihren Aussagen Worte, die seit der Zeit des Nationalsozialismus negative Assoziationen hervorrufen. Indem bestimmte Worte verwendet werden, arbeitet sich die AfD langsam an den rechten Rand hin und lotet ihre Grenzen aus. Jüngstes Beispiel war der Versuch der Parteivorsitzenden Petry den Begriff „völkisch“ wieder zu etablieren –mit der Bemerkung, der Begriff sei lange „kontaminiert“ gewesen und wir bräuchten keine „Sprech-und Denkverbote“. Damit will die AfD diejenigen erreichen, die schon lange sagen, dass Deutschland immer noch für die Verbrechen der Nazizeit büßen und man langsam damit abschließen müsse. Außerdem adressiert die AfD ihre Aussagen an diejenigen, die glauben, es gäbe in Deutschland „Sprech-und Denkverbote“, man dürfe nicht mehr alles sagen. Im September erinnerte die AfD in einer Pressemitteilung an den 4. September 2015, den „Jahrestag der totalen Grenzöffnung“. Also an den Tag, an dem Kanzlerin Merkel die Grenzen zu Ungarn geöffnet hatte.

Der Begriff „total“ ist eng gekoppelt an einen Ausspruch von Reichspropagandaminister Goebbels im Jahr 1943, als er im Berliner Sportpalast die Anwesenden fragte, ob sie den „totalen Krieg“ wollten. Damit gehört der Begriff „total“ zu den finstersten Kapiteln deutscher Geschichte. Es ist absolut unangebracht, das Wort „total“ zusammen mit einem Substantiv im politischen Kontext zu verwenden. Das zeugt wohl weniger von einer Geschichtsvergessenheit als vielmehr von einem absichtlichen Hinwenden zur politischen Rechten. Unterschwellig wird ein Vergleich zwischen Angela Merkel und Goebbels erzeugt, der geradezu unappetitlich ist. Die AfD bricht hier absichtlich Tabus der politischen Kultur, die zu recht lange in der Bundesrepublik gegolten haben.

Beispiel Ängste und Lügen:
Ein Grund für den Erfolg der AfD ist sicherlich, dass sie vermeintliche Probleme anspricht und Ängste schürt. Alles nach dem Motto „wir sind die einzigen, die die Probleme offen ansprechen“. Dass hier aber überzogen wird und den Bürger/innen Ängste suggeriert werden, die unnötig sind, ist ethisch nicht vertretbar. Z. B. hat die AfD im Berliner Wahlkampf vor „unkontrollierbar gewordener Kriminalität“ gewarnt und bzgl. der Flüchtlinge geschrieben, dass nur die AfD „die Katastrophe noch abwenden“ könne. Schaut man sich aktuelle Statistiken an (vgl. Tagesschau vom 23.5.16), sind strafbare kriminelle Handlungen in vielen Bereichen rückläufig, z. B. bei Morden oder Vergewaltigungen. Ladendiebstähle sind jedoch vermehrt aufgetreten. Auch in die Höhe geschnellt sind fremdenfeindliche Straftaten, wie das Anzünden von Flüchtlingsheimen etc. Die AfD aber will die Ängste der Bürger/innen dazu missbrauchen, sich als politische Alternative anzudienen. Wenn nur die AfD die „Katastrophe“ (welche eigentlich?) noch abwenden könne, dramatisiert sie unnötig, um Wählerstimmen zu bekommen. Das ist unredlich und einer Demokratie unwürdig. Ganz offensichtlich fehlt es der AfD an einem soliden Programm, mit dem sie die Wähler/innen von sich überzeugen kann.

Es gibt viele solcher Beispiele, die zeigen, wie die AfD das politische Klima in Deutschland verändert. Wir sollten auf jeden Fall wachsam sein und genau zuhören – denn nur so können wir diese rechtspopulistische Partei entlarven als das, was sie ist: eine Partei, die Ängste in der Bevölkerung schüren will, um sich als rettende Alternative darzustellen.

 

Kinderrechte ins Grundgesetz

Jeden Tag werden in Deutschland durchschnittlich 11 Kinder krankenhausreif geprügelt – meistens von ihren Vätern, Müttern, Stiefvätern oder Stiefmüttern. Obwohl im Jahr 2000 der §1631(2) des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) dahingehend geändert wurde, dass Kinder „das Recht auf eine gewaltfreie Erziehung“ haben, gibt es noch viel zu tun. Zum Beispiel Kinderrechte im Grundgesetz zu verankern.

Seit dem Jahr 1989 gibt es die sog. Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen. In Artikel 3 (1) heißt es beispielsweise: „Bei allen Maßnahmen, die Kinder betreffen, gleichviel ob sie von öffentlichen oder privaten Einrichtungen der sozialen Fürsorge, Gerichten, Verwaltungsbehörden oder Gesetzgebungsorganen getroffen werden, ist das Wohl des Kindes ein Gesichtspunkt, der vorrangig zu berücksichtigen ist.“ Der zugehörige UN-Fachausschuss für Kinderrechte hat allerdings gegenüber Deutschland, in dem diese Konvention 1992 in Kraft getreten ist, kürzlich angemahnt, den Kinderrechten noch mehr politisches Gewicht zu verleihen. Ein Beispiel für die mangelnde Umsetzung der Kinderrechte ist z. B. die nicht-konsequente Bekämpfung der Kinderarmut in Deutschland. Aus meiner Sicht nicht nachvollziehbar ist die Tatsache, dass Kindergeld in Hartz-IV-Familien auf den Hartz-IV-Satz angerechnet wird, obwohl Kindergeld – wie der Name schon sagt – den Kindern zugute kommen soll. Viele Forschungen weisen daraufhin, dass es arme Kinder auch später schwerer haben als Kinder aus gesicherten finanziellen Verhältnissen. Durch die belastenden Verhältnisse zuhause bringen Mädchen und Jungen aus Hartz-IV-Familien oft schlechtere Noten nach Hause, das hat später Folgen bei der Wahl der Ausbildung. Der negative Stress verschlechtert zudem die Konzentrationsfähigkeit von Kindern, behindert den Aufbau von Nervenverbindungen und schädigt das Immunsystem. In Deutschland ist jedes siebte Kind von Hartz IV abhängig.

Was könnte getan werden, um den Rechten von Kindern mehr politisches Gewicht zu verleihen? Eine Idee ist, Kinderrechte im deutschen Grundgesetz zu verankern. Während die Rechte von Familien, Eheleuten und Müttern in Art. 6 nachzulesen sind, fehlen Hinweise auf die Rechte von Kindern völlig. Die Initiative Kinderrechte-ins-Grundgesetz.de schlägt als Text vor:
(1)  Jedes Kind hat das Recht auf Förderung seiner körperlichen und geistigen Fähigkeiten zur bestmöglichen Entfaltung seiner Persönlichkeit.

(2)  Die staatliche Gemeinschaft achtet, schützt und fördert die Rechte des Kindes. Sie unterstützt die Eltern bei ihrem Erziehungsauftrag.

(3)  Jedes Kind hat das Recht auf Beteiligung in Angelegenheiten, die es betreffen. Seine Meinung ist entsprechend seinem Alter und seiner Entwicklung in angemessener Weise zu berücksichtigen.

(4)  Dem Kindeswohl kommt bei allem staatlichen Handeln, das die Rechte und Interessen von Kindern berührt, vorrangige Bedeutung zu.

Die Kinderrechte im Grundgesetz zu verankern wurde schon mehrfach politisch aufgegriffen, leider aber immer wieder von CDU/CSU torpediert. Die Konservativen sprechen sich für das Prinzip Elternrechte vor Kinderrechten aus und zementieren damit ein althergebrachtes Familienbild. Sie verneinen auch völlig, dass Kinder eigenständige Persönlichkeiten sind.

Eine weitere Möglichkeit ist die Schaffung eines Bundesministeriums für Kinder. Dieses ist z. B. dafür zuständig, Gesetzesvorschläge zu erarbeiten, die das Wohl der Kinder fördern, und außerdem darauf zu achten, dass alle neu geschaffenen Gesetze dem Kindeswohl nicht widersprechen. Bisher sind die Belange von Kindern im Ministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend untergebracht. Ein eigenes Ministerium für die Anliegen von Kindern wäre ein starkes Signal der Politik, die Lage von Jungen und Mädchen in unserem Land zu verbessern und damit das Ziel der Chancengleichheit konsequent zu verfolgen.

Eine weitere – aus meiner Sicht sehr charmante – Idee ist die Möglichkeit für biologische Eltern, bei der Geburt eines Kindes oder auch später soziale Eltern zu benennen. In Kanada ist diese Praxis schon möglich. Die sozialen Eltern (übrigens unabhängig vom Geschlecht) haben ähnliche Rechte wie die biologischen, stehen allerdings finanziell nicht in der Pflicht. Ziel ist es, z. B. homosexuellen Eltern Rechte einzuräumen oder Eltern in Patchwork- oder Scheidungsfamilien. Auch im Fall des frühzeitigen Todes der biologischen Eltern träten die sozialen Eltern an deren Stelle. Ich mag diesen Vorschlag deshalb, weil ich es gut finde, die große Verantwortung für Kinder auf mehrere Schultern zu verteilen. Auch kann es gerade in Krisensituationen für Kinder sehr sinnvoll sein, wenn ihnen noch andere Erwachsene zur Seite stehen. Nicht zuletzt ermöglicht die Form der sozialen Elternschaft auch Männern und Frauen, die selbst keinen biologischen Nachwuchs haben, sich als Väter und Mütter zu betätigen.