Laut einer Umfrage der Bertelsmann-Stiftung im Jahr 2010 wünschen sich fast 90 Prozent der Befragten in Deutschland eine alternative Wirtschaftsordnung. [1] Der entfesselte Kapitalismus, der weder vor sozialen noch ökologischen Fragen Halt macht, verunsichert die Menschen. Vielen ist zudem mittlerweile klar, dass das exponentielle Wirtschaftswachstum nicht unendlich weitergehen kann. Exponentielles Wachstum wird u. a. dadurch definiert, dass in immer kürzeren Zeitspannen immer mehr und immer schneller produziert werden muss, um das Niveau zu halten.
Die Suche nach einer alternativen Wirtschaftsordnung wird daher immer drängender. Kann die Gemeinwohlökonomie diese Lücke füllen?
Die Gemeinwohlökonomie (GWÖ) wurde vom Österreicher Christian Felber entwickelt, wenngleich der Begriff des „Gemeinwohls“ viel älter ist und sich unter anderem in der bayerischen Verfassung wiederfindet. Als eine Bewegung von unten nach oben, so begreift sich die GWÖ. Nicht als kompletter Umsturz des Wirtschaftssystems, sondern quasi als Stein, der ins Wasser geworfen wird und dort seine Kreise zieht. Zentral für die GWÖ ist der Gedanke, dass nicht mehr Konkurrenz, Verdrängung und Gewinnstreben das wirtschaftliche Handeln der Unternehmen dominieren, sondern Kooperation und Gemeinwohlstreben. [2] So sollen die Grundwerte gelten, die auch private Beziehungen gelingen lassen: Wertschätzung, Vertrauensbildung und Solidarität. Der Staat soll die Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass Unternehmen, die ihre Ziele in die eben genannte Richtung verschieben, belohnt werden. Die Belohnung kann z. B. niedrigere Steuern, günstigere Kredite oder Vorzüge bei der Vergabe öffentlicher Aufträge bedeuten.
Wirtschaftlicher Erfolg wird anders als heute üblich definiert, nämlich dahingehend, was für das Gemeinwohl, die Lebensqualität und die Bedürfnisbefriedigung der Bürgerinnen und Bürger erreicht wird. Jedes Unternehmen erstellt am Ende des Jahres eine Gemeinwohl-Bilanz, die sich an der Gemeinwohl-Matrix orientiert. [3] Hier werden Werte wie Menschenwürde, Solidarität, ökologische Nachhaltigkeit, soziale Gerechtigkeit und demokratische Mitbestimmung bilanziert. Als „win-win-Situation“ beschreibt GWÖ-Ideengeber Christian Felber, dass durch die Abkehr vom Wachstumsfetisch viele kleinere Unternehmen in allen Branchen einander solidarisch helfen können und dafür noch belohnt werden.
Inhalt der GWÖ sind noch viele weitere Unter-Ziele, wie z. B. die Begrenzung der Einkommen und Erbschaften und die Forderung, dass Natur kein Privatbesitz sein darf. Zudem wird auf die Verringerung der Umweltzerstörung hingearbeitet. Auch die Erwerbsarbeit soll mittelfristig auf 20-30 Stunden reduziert werden, damit genug Zeit für Pflegearbeit, Freiwilligendienste und die Persönlichkeitsentwicklung bleibt. Weiterhin soll die repräsentative Demokratie durch direktdemokratische Elemente ergänzt werden und die Güter der öffentlichen Daseinsvorsorge (z. B. Wasser) dürfen nicht privatisiert werden.
Alles in allem soll die Gemeinwohlökonomie ein laufender, nie abgeschlossener Prozess sein, in den sich Menschen stets mit ihren Ideen einbringen können.
Eine gute Alternative zum herrschenden Kapitalismus? Was meinst Du?
[1] http://www.bertelsmann-stiftung.de/de/presse/pressemitteilungen/pressemitteilung/pid/umfrage-buerger-wollen-kein-wachstum-um-jeden-preis/
[2] http://www.christian-felber.at/schaetze/gemeinwohl.pdf
[3] https://ecogood.org/de/gemeinwohl-bilanz/gemeinwohl-matrix/