Kann die Todesstrafe wieder eingeführt werden?

Ein Erklärungsversuch am Beispiel der Staaten Türkei und Deutschland

Türkei
Nach dem Putschversuch des Militärs in der Türkei im Juli diesen Jahres kündigte der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan mehrfach öffentlich an, über die Wieder-Einführung der Todesstrafe nachzudenken. Verständlicherweise stieß er damit international auf große Ablehnung – nicht nur weil bereits im Jahr 1984 die letzte Hinrichtung in der Türkei stattgefunden und die AKP, die Partei des Staatschefs, die Todesstrafe erst 2002 offiziell abgeschafft hatte.

Ich möchte nun kurz die Frage beantworten, ob es rechtlich möglich ist, die Todesstrafe in der Türkei wieder einzuführen und welche Konsequenzen dieser Schritt hätte. Zunächst einmal ist es mit einer Mehrheit im Parlament und im Zuge der aufgeheizten Stimmung in der Türkei durchaus möglich, die Todesstrafe wieder im Gesetz zu verankern. Allerdings würde das Land so sämtliche internationalen Verträge, die die Abschaffung der Todesstrafe beinhalten, brechen.

Im Einzelnen: 1. Das Zweite Fakultativprotokoll zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte der Vereinten Nationen[1]; 2. Das Protokoll Nr. 6 zur Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (kurz: Europäische Menschenrechtskonvention, EMRK)[2]; 3. Seit 2003: Protokoll Nr. 13 zur EMRK[3].

Insbesondere die beiden letzten Protokolle sind Bedingungen für eine Aufnahme bzw. Beitrittsverhandlungen in die Europäische Union (EU) und die Mitgliedschaft im Europarat (dieser ist zwar nicht Teil der EU, ist aber ein Forum zur Debatte von allgemeinen politischen Fragen, insbesondere von sozialer und wirtschaftlicher Bedeutung – die Türkei ist seit 1949 Mitglied).

Sollte sich das türkische Parlament also entschließen, die Todesstrafe wieder einzuführen, bedeutet dieser Schritt ein Ende der Beitrittsverhandlungen zur EU, ein Ende der Mitgliedschaft im Europarat und hoffentlich einen Aufschrei in der Zivilgesellschaft zum Bruch internationaler Verträge.

 

Deutschland
Im vergangenen Jahr ergab eine Umfrage unter Jurastudentinnen und –studenten, dass rund ein Drittel von ihnen die Wieder-Einführung der Todesstrafe in Deutschland befürwortet. Es stellt sich nun die Frage, ob es tatsächlich möglich ist, diese Art der Strafe wieder im Gesetz zu verankern.

Um zu einer Antwort zu kommen, sollte man sich folgende Artikel im deutschen Grundgesetz näher ansehen: Art. 1 (Die Würde des Menschen ist unantastbar.); Art. 79 (3) (Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch (…) die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig.); Art. 102 (Die Todesstrafe ist abgeschafft)

Unter Juristen gilt mehrheitlich die Meinung, dass Artikel 1 des Grundgesetzes der Streichung von Artikel 102 widerspricht. Das bedeutet, die Würde des Menschen wäre durch die Wieder-Einführung der Todesstrafe so beeinträchtigt, dass eine Wieder-Einführung der Todesstrafe nicht möglich wäre, ohne das Grundgesetz zu brechen. Artikel 1 (ebenso wie Artikel 20) sind Teil der in Artikel 79 hinterlegten „Ewigkeitsklausel“, d. h. sie dürfen niemals verändert werden.

Abgesehen davon hätte eine Verankerung der Todesstrafe im deutschen Gesetzbuch ähnliche Konsequenzen wie im obigen Fall in der Türkei, da auch die Bundesrepublik Deutschland die oben genannten Verträge unterzeichnet hat: Sofortiger Austritt aus der EU und dem Europarat, Bruch internationaler Verträge und ein großer Widerstand aus der Zivilgesellschaft, von Menschenrechtsorganisationen etc.

Der Unterschied zur Türkei ist gegenwärtig allerdings, dass keine der im Bundestag vertretenen Parteien die Wieder-Einführung der Todesstrafe fordert. Und selbst wenn hier plötzlich die Stimmung kippen würde, könnte man dem Bundesverfassungsgericht vertrauen, ein dementsprechendes Gesetz wieder einzukassieren.

[1] Artikel 1
(1) Niemand, der der Hoheitsgewalt eines Vertragsstaats dieses Fakultativprotokolls untersteht, darf hingerichtet werden.
(2) Jeder Vertragsstaat ergreift alle erforderlichen Maßnahmen, um die Todesstrafe in seinem Hoheitsgebiet abzuschaffen.

[2] Art. 2
Recht auf Leben
(1) Das Recht jedes Menschen auf Leben wird gesetzlich geschützt. Niemand darf absichtlich getötet werden, außer durch Vollstreckung eines Todesurteils, das ein Gericht wegen eines Verbrechens verhängt hat, für das die Todesstrafe gesetzlich vorgesehen ist.

[3] Artikel 1 – Abschaffung der Todesstrafe
Die Todesstrafe ist abgeschafft. Niemand darf zu dieser Strafe verurteilt oder hingerichtet werden.